Erster Reisebericht Bamtaare - Empfangstanz

Erste Reise in den Senegal im Februar 2010 – „Bamtaare“ *

Reisebericht 

Susanne Szemerédy und Heidi Schlammerl mit Demba Ba und drei Bewährungshelferinnen vom Landgericht München I, einer Ärztin und einem Bildungsmitarbeiter von Ver.di. 

Weil Demba Ba sozusagen im Nebenberuf Bürgermeister des kleinen Dorfes Sinthiou Mbal im Senegal ist, hat sich die Idee einer gemeinsamen Reise dorthin ergeben. Was anfangs als touristische Reise gedacht war, hat sich dann bei einem Seminar von der Gewerkschaft ver.di zu dem Versuch eines solidarischen Projekts entwickelt.

Nach mehreren vorbereitenden Treffen starteten schließlich die oben Genannten und zwei weitere ver.di-Mitglieder – eine Ärztin und ein Kollege aus der Bildungsarbeit- beladen mit wenig persönlichem Gepäck und dafür mit mehreren Koffern voll mit Medikamenten und Schulsachen am 30. Januar vom Flughafen in München in Richtung Dakar, der Hauptstadt des Senegal. Dakar ist eine Millionenstadt, fast jeder zehnte Senegalese lebt dort.

Beim Abflug war München tief verschneit und in Dakar erwarteten uns gegen 22.00 Uhr sommerliche Temperaturen. Demba empfing uns in traditionell senegalesischer Tracht – im Boubou – und es sollte nicht lange dauern, bis wir selbst damit eingekleidet wurden Zur Akklimatisierung weilten wir erst einmaleinige Tage in einem Hotel am Rande Dakars an der Atlantikküste. Diese Tage nützten wir neben Strandspaziergängen,Schneidereibesuchen (für dieBoubous) und Erkundungen von Dakar und auch für den Besuch bei der USE. EinVerwandter Dembas – Aliou Ba – ist Präsident dieser Organisation, die eine derältesten Nichtregierungsorganisationen im Senegal ist.In der Einrichtung der USE in Dakar wird u.a. eine Augenklinik betrieben, da viele anderen Kliniken privatisiert und für Arme nicht bezahlbar sind. Daneben werden handwerkliche Ausbildungen und Basketballtraining angeboten.

Der Sport ist eine der Möglichkeiten, junge Menschen sozial einzubinden und zu fördern und Sinn jenseits von Erwerbsarbeit zu stiften. Für den einen oder anderen ist sicherlich damit auch die Hoffnung verbunden, dem Land entfliehen und in Europa Geld verdienen zu können. Es war gut, diese Tage in Dakar zur Verfügung zu haben, da es gar nicht so einfach war, zwei funktionierende Pickups mieten zu können und die gerade vorherrschende

Benzinknappheit vereitelte fast unsere Weiterreise. Dank dem unermüdlichen Einsatz von Demba hat das alles dann doch relativ zeitnah geklappt.

Unser nächstes Etappenziel war St. Louis,die ehemalige Kolonialhauptstadt des Landes. Ebenfalls am Atlantik gelegen beeindruckte und irritierte uns diese Stadt gleichermaßen. Sie bietet verfallenen kolonialen europäischen Charme, daneben schallt der blecherne Ruf des Muezzins durch die Gassen und ländliche Ziegen beherrschen neben den Menschen dasurbane Ambiente.

Am nächsten Tag ging es dann rund 500 km weiter in das Landesinnere, in das„senegalesische Outback“ (lt. Reiseführer). Gleichzeitig ist dieser Landstrich auch unter dem Namen „Dreieck der Dürre“ am Rande der Sahelzone bekannt. Die Fahrt nach Sinthiou Mbal war schweißtreibend und nicht ungefährlich für unsere Bandscheiben wegen der ständigen und tiefen Schlaglöcher, die mit sage und schreibe durchschnittlich 100 kmh 2 trotzdem nicht immer überflogen werdenkonnten.

Entlang der Straße lagen immer wieder tote Rinder, an denen Geier sich gütlich taten. Auf der Straße kreuzten lebende Rinder und Schafe sowie Ziegen zwischen Bussen, Pferdekarren und Fußgängern unseren Weg. Dank Demba und seinem Neffen, der den zweiten Pickup lenkte, kamen wir trotz aller Widrigkeiten heil in Sinthiou Mbal an und wurden sogleich durch das gesamte Dorf mit der bayerischen und senegalesischen Fahne, trommelnd, singend und tanzend begrüßt. Ein fulminanter Auftakt zu einem fulminanten Fest, vor dem uns keine Verschnaufpause vergönnt war.

Dreckig und verschwitzt fanden wir uns in einer Menge freudestrahlender, berührungsfreudiger Menschen jeglichen Alters wieder, wobei insbesondere die Kinder immer wieder prüfen mussten, ob die helle Hautfarbe wirklich echt ist. Das Händeschütteln fand kein Ende und begleitete uns auch während des gesamten Aufenthaltes im Dorf. Demba stellte uns in seinem Anwesen ein Gästehaus zur Verfügung, das für uns extra frisch gestrichen war. Dort waren wir im Vergleich zu den meisten Häusern oder Hütten des Dorfes luxuriös untergebracht. Wir hatten Matratzen, Moskitonetze und ein eigenes Badezimmer mit meist auch fließendem Wasser zum Duschen etc.

Abgesehen von dem Empfang, für den eigens uns zu Ehren Sitzmöbel herangeschafft waren, sahen wir solche dann während unseres Aufenthalts nicht mehr. Für unsere verwöhnten Glieder war das Sitzen, Essen und Liegen auf dem Steinboden nach kurzer Zeit eine Herausforderung, die wir mehr oder weniger gut meisterten. Die „Küche“ befand sich inmitten des Anwesens in Form einer offenen Feuerstelle, 3 auf der in riesigen Töpfen zweimal am Tag gekocht wurde. Das Essen wurde uns jeweils in einer großen Schüssel serviert, um die wir uns auf dem Boden sitzend gruppierten. Man half sich gegenseitig beim Händewaschen und aß dann lediglich mit der rechten Hand. Ein bisschen Übung erforderte dies für uns durchaus! Glücklicherweise assistierten uns regelmäßig ein bis drei einheimische Männer, die verstanden, mit ihren Händen das heiße Fleisch von den Knochen zu trennen und uns Stücke davon zuteilten. Das Fleisch war auf Couscous oder Reis mit ein wenig Gemüse angerichtet und daraus galt es, mundgerechte Bällchen zu formen.

Wiederum uns zu Ehren musste ein Stierlein sein Leben lassen, dem in unserem Beisein mit einem eher stumpfen Messer die Kehle durchsäbelt, der anschließend gehäutet und zerhackt wurde und dann im Kochtopf landete. Auch wenn manches für uns schwer verdaulich war, überwältigte uns die grenzenlose Gastfreundschaft, die uns über all die Tage unvermindert entgegengebracht wurde. Gerne revanchierten wir uns dafür mit Obst, das wir von unseren Ausflügen in die nächst größeren Orte mitbrachten.

Das nächste kleine Zentrum, Ourossogui, ist ca. 15 km und der Hauptort der Region, Matam, ca. 40 km entfernt. Ohne Auto – und im Dorf gibt es keines – sind diese Orte nur mühsam mit Sammelbussen, die Geld kosten, oder Pferdekarren erreichbar.

Der Tag im Dorf begann mit dem Ruf des Muezzins oder des Hahnes, im Nachhinein sind wir uns da nicht mehr sicher. Es könnte auch sein, dass die beiden uns manchmal gleichzeitig weckten. Zum Frühstück wurde uns Baguette – das Erbe Frankreichs – serviert und süßer Kaffee. Zumeist erfolgte danach eine Erkundungstour ins Dorf und das nahe gelegene Umland. Dabei besuchten wir auch die Schule des Dorfes und ein Collège im Nachbardorf, die nächstgelegene Krankenstation, eine Berufsschule in Matam, ein Gartenprojek eines anderen Dorfes und weitere funktionierende oder nicht funktionierende Entwicklungshilfeprojekte.

Selbstverständlich war der Besuch des Justizpalastes in Matam und ein kurzes Gespräch mit dem Gerichtspräsidenten, dem Staatsanwalt, einem Gerichtsschreiber und einem Rechtsanwalt Pflichtprogramm.Wir möchten hierbei anmerken, dass wir keinen Dienstreiseantrag gestellt haben, um den Haushalt des Landgerichts München I zu schonen.

Ausflüge an den Senegalfluss, der Lebensader der Gegend, und zu der wohl einzigen Erhebung vulkanischen Ursprungs durften nicht fehlen. Auch mit dem Besuch verschiedener Märkte in der Umgebung lernten wir einiges über die Lebensweise der Menschen kennen. Nachdem wir von Dembas Familie mit Stoffen beschenkt wurden, war der Besuch des Schneiders im nächsten größeren Ort des öfteren ebenso obligatorisch wie mehrmalige Besuche der Reifenwerkstatt, nachdem uns fünf Reifen den Dienst versagten. So spätestens gegen 14.00 Uhr waren wir meist zurück in Sinthiou Mbal, um die erste Siesta des Tages zu halten. Gegen 15.00 Uhr wurde uns das Mittagessen serviert und danach mussten wir erneut ruhen. Bei rund 40 Grad im Schatten verstanden wir nur allzu gut, dass sich auch alle anderen – vor allem die Männer –ausruhten. Nach der größten Hitze des Tages machten wir meist noch einen kleineren Ausflug und danach warteten wir auf das Nachtmahl so gegen 22.00 Uhr, wenn nicht wieder mal ein Fest zu unseren Ehren auf der Tagesordnung stand und das Nachtmahl dementsprechend nach hinten verschob. Nach jedem Essen und manchmal auch zwischendurch war Zeit für die ausgedehnte senegalesische Teezeremonie – der erste Aufguss stark wie der Tod, der zweite süß wie die Liebe, der dritte harmonisch wie die Freundschaft.

Da wir die einheimische Sprache erst noch lernen müssen, die Dorfbewohner eher schlecht französisch sprechen und die meisten von uns es auch nicht besser können, stellte die Kommunikation eine besondere Herausforderung dar. Trotz häufigem Nichtverstehen unsererseits war es schön zu erleben, dass wir uns verbunden fühlten auch jenseits des herkömmlichen Verständigungsmittels der gemeinsamen Sprache. Vielleicht war dies auch möglich durch die einfache Lebensweise der Dorfbewohner, die wenig besitzen und auf das Teilen angewiesen sind. Bei der Teezeremonie haben wir das konkret erfahren, da sich viele Menschen zwei Gläser teilen mussten. So müssen viele aufeinander warten und trinken doch aus einemGlas.

Bei der Kommunikation war Demba natürlich in besonderem Maße beansprucht,denn er war der einzige, dem alle drei Sprachen – Pulaar, Französisch und Deutsch – vertraut sind. Manchmal wunderte er sich allerdings, dass er von den Kindern nicht verstanden wurde, wenn er sie auf Deutsch ins Bett schicken wollte.Elf Tage mit einem ganz anderen Leben lagen hinter uns und der Abschied von den Dorfbewohnern stand an. Dabei reicht man sich die linke Hand und schaut zur Sonne als Zeichen des gemeinsamen Wunsches auf ein Wiedersehen – die Sonne verschwindet jeden Tag und kehrt am nächsten Tag doch wieder.Wieder einmal überwältigte uns der direkte Ausdruck von Emotionen und da blieb auch bei mancher von uns kein Auge trocken.

Wir hatten zum Ende unserer Reise das Glück, mit Aliou Ba und einem Professor der Landwirtschaft unsere Eindrücke kognitiv zu verarbeiten und erste Ideen für ein weiterführendes Projekt zu entwickeln.Zurück in Dakar waren unsere Empfindungen fast zwiespältig. Wir freuten uns einerseits über ein kühles Bier und Essen mit eigenem Teller und Besteck.Gleichzeitig verspürten wir aber auch eine gewisse Trauer über unsere Rückkehr in die ach so vertraute Welt, von der uns klar geworden ist, dass uns bei allem Wohlstand doch so manches fehlt. Freundlichkeit, Würde und ausgelassene Lebensfreude trotz oder gerade wegen des einfachen und teils äußerlich armen Lebens.

Wir haben ebenso viel zu lernen wie unsere neu gefunden Freunde und Freundinnen im Senegal.

Deshalb haben wir inzwischen einen Verein gegründet und hoffen, gemeinsam mit den Menschen in Sinthiou Mbal und Umgebung wachsen und uns entwickeln zu können.

* In der Sprache Pulaar – eine der Spracheni m Senegal – meint Bamtaare einen gemeinsam getragenen und allen zugutekommenden Fortschritt, der auf Eigeninitiative und solidarischer Unterstützung beruht. So wie das Dach einer Hütte nur gemeinsam errichtet werden kann und der Schritt, den man tut, das Verständnis für Gleichgewicht und die Kenntnis des nächsten Schrittes voraussetzt, zielt Bamtaare immer auf die Gemeinschaft, auf das Gemeinwohl und auf das gemeinsame Interesse.

Deshalb haben wir den Verein, den wir nach unserer Reise gegründet haben, Bamtaare – Senegal 2010 genannt.

Comments are closed.